Sonntag, 30. März 2014

"Villa am Meer"- Ein Lyrikprojekt

Arnold Böcklin 
<br />
Villa am Meer, 1878
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Ölfarben auf Leinwand, H: 110, B: 160 cm
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Kunstmuseum Winterthur
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Geschenk der Erben von Olga Reinhart–Schwarzenbach, 1970
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Credit line: Kunstmuseum Winterthur, Geschenk der Erben von Olga Reinhart–Schwarzenbach, 1970
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© Schweizerisches Institut für Kunstwissenschaft, Zürich, Jean-Pierre Kuhn
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Bildinfo (zur Vergrößerung Bild anklicken/click thumbnail to enlarge image):

Arnold Böcklin
Villa am Meer, 1878
Ölfarben auf Leinwand, H: 110, B: 160 cm
Kunstmuseum Winterthur
Geschenk der Erben von Olga Reinhart–Schwarzenbach, 1970

Credit line: Kunstmuseum Winterthur, Geschenk der Erben von Olga Reinhart–Schwarzenbach, 1970
© Schweizerisches Institut für Kunstwissenschaft, Zürich, Jean-Pierre Kuhn

Die folgenden Texte können als Beispiel für angewandten "Immediatismus" (Hakim Bey) gelten. Die Kontributoren und Kontributorinnen setzen sich dabei alle jeweils auf eigene Weise mit Arnold Böcklins Gemälde "Villa am Meer" (1878) auseinander, finden Zugänge oder legen Fluchtwege offen. Böcklin malte das Sujet mehrfach, und entsprechend gibt auch hier die Synopse der Perspektiven einen Anblick frei, der den jedes Einzeltextes vervollständigt und bereichert. Die Texte entstanden unabhängig voneinander und erscheinen hier zum ersten Mal in ihrer Gesamtheit. Einige bereits angekündigte Beiträge können folgen. Das copyright an den Texten verbleibt bei den jeweiligen Autoren/-innen, jegliche Reproduktion nur gegen schriftliches Einverständnis. Allen Kontributoren/-innen sei für ihre Mitarbeit und Kreativiät von Herzen gedankt.

The following texts may be considered an example of applied "Immediatism" (Hakim Bey). They all take as their point-of-reference Arnold Böcklin's painting "Villa by the Sea" (1878), were written independently of each other and appear here for the first time in their entirety, listed in the order of submission. They all attempt to open an access or otherwise show routes of escape. Böcklin painted several versions of this sujet, and likewise the synopsis of the different poems adds to each single approach, thus creating a vista that enriches and completes all individual perspectives on the topic. Some additional contributions may follow. All copyright remains with the authors, no reproduction without written consent. Heartfelt thanks to all who contributed. You are wonderful.

1. George Slobodzian, Montréal:

Villa Am Meer

For rent, purchase, or time-share:
one late Romantic imaginary

villa in equally imaginary
picturesque seaside setting

with breathtakingly desolate
vistas. Perfect for solitary

brooding, daylong pacing
along rock-face, or simply

standing still for centuries,
back to the wall, a stiff

wind blowing in, regarding
the one perfect wave

that will never break.


2. Jürgen Heizmann, Montréal:

Villa am Meer
Auf ein Bild von Arnold Böcklin

Zypressen, wuchernd und windgebeugt,
überragen das kühn ins Meer hinaus
behauptete Haus.

Hier stand sie oft,
mit den Bildern allein wie mit
den Gesten, sinnend, eine Vertriebene:
die lehnte an zerfallener Mauer,
schaute blind in die letzten Lichter
der lärmenden Gischt.

Nie mehr nahte, so oft sie auch rief,
die Stunde des Glücks. Nur das Rauschen
der Brandung flog an ihr Ohr.
Stimmen, Schreie, Gelächter,
Mauer, Zypressen und Haus,
die Menschen, Tiere und alle Dinge
waren darin.

Dann wusste sie nicht mehr,
war die einst so unermessliche Welt
nur dieses Rauschen oder war
dieses Rauschen die Welt.

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3. astralweeks, Heidelberg:

a. Böcklin: Villa am Meer (1878)

Das schützende Haus,
in dem ihr Glück nicht wohnt, flieht sie,
die von mächtigen Zypressen beschatteten Arkaden.
Über die alte Steintreppe steigt sie hinunter,
vorbei am wilden Wein,
dessen Röte das neigende Jahr anzeigt,
und dem Efeu, der Zeit nicht kennt,
dorthin, wo das verfallene Mauerwerk,
brüchig von Wind, Salz und Gischt,
fast hineinragt ins marmorierte, herbstliche Meer.

Gedankenversunken verharrt sie da,
eine Figurine der Melancholie:
das Haupt gehüllt in schwarzes Tuch,
die Stola drapiert übers weiße Kleid,
gleicht sie jenen Statuen der Dachterrasse,
doch exiliert aus deren In-sich-Ruhen,
erweckt durch die sehnsüchtige Kunst
eines finstern Meisters,
unerlöst.


b. Böcklin: Villa by the Sea (1878)

(for J.)

The sheltering villa,
where her happiness does not abide, she flees,
the arcades darkened by the shadow of the mighty cypresses.
Down the stony stairs she descends,
past the wild vine,
whose redness witnesses the cadence of the year,
and the ivy that does not know time,
down to where the decayed walls,
porous by wind, salt and spray,
almost protrude into the marbled, autumnal sea.

Lost in her thoughts she rests motionless,
a silent figure of melancholy:
her hair covered by dark cloth,
a stole draped over the white dress,
she resembles those statues on top of the roof,
however exiled from their complacency,
wakened to life by the wishful art
of a sinister master,
unredeemed.

(transl. by astralweeks)


4. Valivarius, Berlin:

Frau vom Meer

Wie als gäbe das Meer sie her
das Kleid aus Gischt aufgeschossen
um gelehnt an den Backstein der abbricht
die Insel im Rücken und Wellen
zu Füßen, das streng Gestaltlose
sich rückwärts zu denken
von der Insel her.

Das halboffene Kreuzgewölbe
halb vom Himmelblau eingenommen
und ganz von Zypressenschatten
beschwert, an die Hauswand gelehnt
die aus Bäumen sich schält
als wäre es nur zu verstehen
von einem Spaziergang her.

Der Stein neben ihr hütet –
eine Mutter aus Stein, ein Kind aus Stein.
Das Meer lässt sich Zeit.
Und sie steht in der Wandnische
abgewandt, nur das Säuseln der Birken
ermuntert, als wäre der Schluss zu erreichen:
Von der Insel geboren das Meer.


5. Gerald Schuba, Wien:

euklids traum

. .

jungfernweiß den schoß umwandet
ruht schon im trauertuch das haupt

ihm als vertikale vis à vis gesetzt
verweist sie dennoch auf den ewig zirkelnden Kreis

Sie dort
Er hier
Sie einst
Er jetzt

parallelen

ahne ich den punkt
wo diese beiden,
wo wir beide
uns berühren werden ?
draußen, dort drinnen
tief im unendlichen selbst

am gestade der zeit
einander gegenüber
hier
mitten im werden, im vergehen
erkannte ich, ihr begegnend, mich selbst

du und ich
zwei
parallelen
sich spiegelnd im unendlichen all

Ja. schweig mir zu, du meine dort drübene,
von wo du weilst, zu wo ich atme

als zwei achsen des lebens,
des großen, großen lebens
das keine zeit kennt
nur unendlichkeit,
werden wir,
haben wir uns
bereits, berührt.

zwei parallelen
in unendlichkeit
vereint
.


6. Katz Jacobs, Osnabrück:

Astray

Whilst an almost bare soul rages,
so often caressed,
against
these tides, my gardens, my seas, dry out
such salted bitter sounds smacked these doors

emerged lands:
more these seem to seek.
Whilst Nike sings songs of gravity, these windows will collide.
Within her view, her heart drawn empty.
So off. Men. Hope there is a bourgeois manner of talking things astray.

I will meet you, Hermes,
all you druids with some fluids
off
Serenity.
A bliss it shall be, these threesome trees,
whilst Orpheus echoes you a lifetime,
getting right to that very point

off

prepared to collide.


7. Hector Joniel, Aguada/Puerto Rico:

"Villa am Meer, Teil IX"

Es graut mir vor dir, vor deiner
lethargischen Verwesung und vor deiner ab-
gestandenen Schönheit. Melancholisch
nennen dich die Verführten, verkennen das
weiße Laster, das dein Mantel umhüllt.
Springe doch wenigstens!

O schöne Frau, deine Keuschheit erfüllt
mich mit Mitleid. Siehst du denn nicht,
wie alles um dich allmählich verblutet und
dein weißes Kleid besudelt? Worauf wartest du,
wenn Schönheit und Kraft nicht mehr vorhanden? Alles
leere Koketterie mit dem Anblick des Todes.

Eine Villa hielt der Wucht der Meereswellen
stand. Sie hatte einen Zweck
und Sinn. Als dies vorüber, da
nannten sie bestimmte Geister schön. Denn
schön ist die letzte Hoffnung um einen
Wert, der längst hohl geworden.

Erkennt ihr denn nicht,
die Hinterlassenschaft
der Ahnen will nicht
Ruine heißen?

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